Nicole Althaus
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Barbara Frey – Annabelle 14/09
Annabelle 14/09 
Text: Nicole Althaus 
Fotos: Helmut Wachter
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Begegnung: Barbara Frey

Sie ist die erste Intendantin in der Geschichte des Zürcher Schauspielhauses: Barbara Frey ist keine Frau der grossen Worte. Aber sie liebt grosse Gesten.

Hier macht die Bodenständigkeit Theater, könnte man sagen. Das Wort passt: zu Barbara Frey als Person, zu ihrer Arbeit als Regisseurin, zum ersten Spielprogramm als Intendantin. Aber Bodenständigkeit wird gern mit Visionslosigkeit assoziiert oder mit Bescheidenheit. Und die ist im eitlen Kulturkuchen keine Zier. Dabei bedeutet Bodenständigkeit, dass man den Baum pflanzt, bevor man sich auf die Äste hinauslässt.

Barbara Frey hat keine grossen Worte gemacht, damals vor zwei Jahren, als sie der Presse als erste Intendantin in der Geschichte des Zürcher Pfauen präsentiert wurde. Bedankt hat sie sich und dann hineingekniet in die Arbeit hinter den Kulissen, Gespräche geführt mit dem gesamten technischen Personal, das Ensemble neu formiert und erweitert, schliesslich ein künstlerisches Leitungsteam aufgestellt. Ein Team, das kürzlich bewiesen hat, wie ernst es das bis zur Bedeutungslosigkeit missbrauchte Wort Teamwork nehmen darf: An der Pressekonferenz zur Präsentation des ersten Spielplans spielte die Chefin eine Nebenrolle.

Bodenständig also. Bis in die Spitzen ihrer kurzen Haare. Auf eine eigensinnige Art gewöhnlich ist Barbara Frey. Die 45-Jährige schiebt anständig die Sonnenbrille ins Haar, bevor sie grüsst und dann ihr Gegenüber mustert wie ein neugieriges Kind. Sie ist durchschnittlich gross und unauffällig gekleidet, aber der Händedruck ist so rau wie ihr raumfüllendes Lachen, das gern mitten in einem Satz aus ihrem Körper fährt, das Gespräch torpediert und für einen Augenblick den Faden kappt.

Sie wirft sich in drei Rollen gleichzeitig, wenn sie eine Anekdote zum Besten gibt, und schnell wird klar: Da erzählt jemand, der weniger an Antworten interessiert ist als an Fragen.

annabelle: Barbara Frey, was hält eine Baslerin, die ein Jahrzehnt in Berlin gelebt hat, von Zürich?

Barbara Frey: Die Stadt ist mir noch sehr fremd. Dasselbe gilt für die Schweiz. Alles ist wahnsinnig aufgeräumt hier. Es ist kein Klischee, dass die Trottoirs aussehen, als hätte sie jemand abgeleckt. In Kreuzberg, wo ich ein ganzes Jahrzehnt gewohnt habe, herrschte stets das produktive Chaos.

Vermissen Sie es?

Wichtig für meine künstlerische Arbeit ist, dass mich ein Ort provoziert. Zürich tut das – es ist so ruhig hier, dass es mich beunruhigt. Und diese Unruhe haben wir im Spielzeitheft, das der geniale Grafiker Cornell Windlin gestaltet hat, gesucht: Man sieht darin auch die widersprüchlichen, chaotischen Aspekte der Stadt Zürich: der brennende Böögg neben Szenen des Globuskrawalls. Die interessieren uns für unsere Theaterarbeit.

Sehen Sie sich als Brandstifterin?

Nein. Ich zündle nicht, ich sammle und präsentiere bloss das, was mir aufgefallen ist. Ich will damit die Bildstrecke über Zürich erweitern: Die Stadt ist mehr als das tausendfach recycelte Idyll von See, Grossmünster und Limmatbrücken. Auffällig ist etwa, wie man in der Schweiz ständig den Ernstfall plant. Wir hatten zwar nie einen, aber wir sind bestens darauf vorbereitet. So gut, dass jede Tramkollision in Zürich, als kleiner Ernstfall auf vorgebahnten Gleisen, generalstabsmässig behoben wird. Noch schaue ich als Rückkehrerin auf diese Stadt und unser Land – diese Aussenseiterperspektive will ich für das Theater künstlerisch nutzen.

Ein Gespräch mit Barbara Frey gleicht weniger einer Autobahnfahrt, auf der das Ziel klar und die Ausfahrt ausgeschildert ist. Es ist vielmehr ein Dahingleiten auf Landstrassen, manchmal auch ein Einbiegen in eine Sackgasse und ein Rückwärts-wieder-Rausfinden. Dabei ist es nicht der Zufall, der Regie führt, sondern die Lust, auf anderen Wegen anzukommen. Ein Prinzip, das man auch in ihrer künstlerischen Arbeit findet. Jeder Figur, der grossen wie der kleinen, nähert sie sich auf Umwegen, ringt ihr damit eine neue Seite ab: Jarrys König Ubu war unter Barbara Freys Regie an der Schaubühne Berlin mehr als bloss ein feiger und gefährlicher Emporkömmling, er war zugleich der kleine Mann, der gross sein will, aber Angst hat vor seinem eigenen Ehrgeiz. Tschechows Onkel Wanja, mit dem sie 2004 am Berliner Theatertreffen Furore machte, nimmt sie noch im lächerlichsten Moment bitterernst. Es ist das Allzumenschliche, das Barbara Frey interessiert: das Fremdsein in der eigenen Haut. Wie Menschen sich verfehlen und Mann und Frau aneinander vorbeilieben.  Verschlungen war auch Barbara Freys Weg zum Theater. Lange schwankte sie zwischen Hörsaal, Bühne und Musik. Sie studierte Philosophie und Germanistik in Zürich, tourte als Schlagzeugerin mit diversen Bands, in denen sie sich den Ruf als «Frau mit dem härtesten Schlag» zulegte. Ab 1988 war sie bei Frank Baumbauer in Basel als Regieassistentin angestellt. Nach und nach begann sie selber zu inszenieren. Das Studium hatte sie in der Zwischenzeit abgebrochen, tingelte zwischen freier Szene und Staatsbühnen hin und her und machte sich in den Neunzigern einen Namen im avantgardistischen Theaterbetrieb. Es folgten Engagements am Bayerischen Staatsschauspiel in München, an der Schaubühne Berlin, an den Salzburger Festspielen, am Wiener Burgtheater, am Deutschen Theater Berlin und am Schauspielhaus Zürich. Heute gehört Barbara Frey zu den gefragtesten Regisseurinnen des deutschsprachigen Theaters – die Männer sind mitgemeint.

Sie sind die erste Intendantin in der Geschichte des Zürcher Pfauen. Ist diese Rolle mit besonderem Druck verbunden?

Es ist Zeit geworden für die erste Frau an der Spitze dieses Theaters. Und auch an der Spitze dieser Stadt. Schliesslich gibt es wahnsinnig viele talentierte Frauen und gleichzeitig verschwindend wenige in Positionen, die ihren Talenten entsprechen würden. Aber das ist kein Grund, in Ehrfurcht zu erstarren oder eine Egoshow abzuziehen.

Aber ein bisschen was wollen Sie schon ändern, oder?

Natürlich. Das habe ich mit dem ersten Spielplan ja bereits gemacht: Ich habe das Ensemble vergrössert und will es pflegen. Ich gebe talentierten Jungregisseurinnen und -regisseuren eine Plattform. Heike Marianne Goetze inszeniert einen Fassbinder im Pfauen. Obwohl sie noch als Geheimtipp gilt. Wir wollen die nächste Theatergeneration zeigen und fördern.

Nach dem Eclat mit Matthias Hartmann setzt man auf Ihre kommunikative Kompetenz als Frau. Ein Klischee?

Nein. Kommunikation ist mir tatsächlich sehr wichtig, und ich habe enorm viel Zeit investiert, um einzelne Mitarbeiter zu erreichen. Was mich ärgert, ist, dass die Fähigkeit, integrativ zu wirken, oft als weibliche Tugend vorausgesetzt und nicht als Leistung wahrgenommen wird. Eines der unglaublichsten Klischees, das sich übrigens auch am Theater hält, ist, dass Frauen emotionaler seien als Männer. Da lachen ja die Hühner. Auf der Bühne erlebe ich immer wieder Männer, die austicken. Tut eine Frau dasselbe, heisst es, sie habe sich nicht im Griff.

Die Schauspieler lieben Sie, sagt man. Flippen Sie nie aus?

Ich kann mich sehr gut durchsetzen. Und ich haue auch mal auf den Tisch. Aber es ist nicht meine Art, wie ein Berserker in den Proben rumzuwüten. Ich komm e anders ans Ziel.

Wie?

Fürs Theatermachen braucht es Wut und zugleich Sanftheit. Der Humor aber ist für mich die wichtigste Ebene. Er ist die Brücke, die den Einzelnen mit der Welt und den Mitmenschen verbindet. Ich erreiche die Menschen oft via Humor. Und ich glaube fest daran, dass man das Zürcher Publikum zum Theaterschauen verführen kann, indem man das Lachpotenzial auffährt.

In welche Richtung entwickelt sich das Theater im neuen Jahrtausend?

Die Nullerjahre des neuen Jahrtausends sind tatsächlich zu Nullerjahren geworden. Wir beginnen von vorn. Die Kategorien, auf die wir unsere Wahrnehmung gestützt haben, sind uns teilweise abhanden gekommen, durch die Wirtschaftskrise, die Terroranschläge. Meiner Meinung nach kann man diesem neuen Zeitalter nicht mehr einfach nihilistisch oder mit permanenter Ironie begegnen. Ebenso wenig reicht es, im Theater Stars aufzufahren oder zu provozieren um der Provokation willen. Das Theater muss mitdiskutieren und intellektuell bewegen, aber auch Wärme herstellen. Das Theater der Eitelkeit ist vorbei.

Die Frau, die so gern und so ansteckend lacht, sagt das mit dezidiertem Ernst. Nichts ist ihr so fremd wie die Attitüde der Arrivierten. Noch immer ist die Neugierde ihr Motor. Theater, das ist für Barbara Frey Vielfalt und nicht bloss ein gekonnter Stil. «Man muss die Stücke spielen, in denen man Energie findet – egal ob es sich um eine Uraufführung handelt oder um einen Klassiker. » Von dieser Überzeugung lässt sie sich kein Jota abbringen.

Und wer sie fragt, woher sie den Glauben an ihren persönlichen Weg nimmt, dem präsentiert sie keinen grossen Mentor, sondern: die Grossmutter. «Sie hat mir zwei Dinge mitgegeben: das Gefühl absoluter Geborgenheit und das Gefühl totaler Freiheit. Bei ihr durfte ich alles sein, was ich wollte. Sie hat immer an mich geglaubt. »

Im Garten der Grossmutter hat Barbara Frey die ersten Monologe gehalten, in ihrer Stube durfte sie die ersten Western schauen, und in Grossmutters kleinem Pool hat sie schwimmen gelernt. Das klingt nach wenig und meint doch alles: sich durch fremdes Element strampeln und nicht untergehen. Oder: Rollen ausprobieren und wieder ablegen. Und dann inszeniert Barbara Frey ihre Erinnerung an die geliebte Grossmutter mit ein paar wenigen Worten, aber einer grossen Geste: Beim Abschied, erzählt sie, sei die Grossmutter jeweils vor die Haustür getreten und habe dem Auto, in das die Enkelin stieg, nachgewinkt. Zuerst mit der Hand, dann mit dem ganzen Arm und zuletzt sei die ganze Grossmutter ein einziges Winken geworden. So einfach kann grosses Theater sein.
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