Nicole Althaus
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Alice Schwarzer – FACTS 22/07
FACTS 22/07 
Text: Nicole Althaus, Daniel Arnet
Fotografien: Bettina Flitner u.a.
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«Frauen müssen mit dem Mutterkitsch aufhören»

Die Wortführerin der Frauenbewegung mischt sich mit einem neuen Buch in die Familiendebatte ein. Alice Schwarzer über sprachlose Männer, pflegeleichte Muttis und feige Schweizer, die vor Islamisten kuschen.

FACTS: Frau Schwarzer, Ihr neues Buch trägt den Titel «Die Antwort». Das klingt so absolut wie vom Papst.

Alice Schwarzer: Der Titel klingt arrogant, ich weiss. So ein Buch muss sich ja verkaufen. Aber nichts liegt mir ferner, als auf alles antworten zu wollen. Im Gegenteil: Ich will aufklären und erinnern. Es ist ein Buch gegen das Vergessen.

FACTS: Haben Sie Angst, dass man die Schwarzer vergisst?

Schwarzer (lacht): Nein! Aber den Feminismus. Das Buch habe ich geschrieben, um aufzuzeigen, wo wir Frauen stehen, was wir erreicht haben – und von wo wir jetzt weiterdenken müssen.

FACTS: Das Resultat liest sich wie ein Best of Alice Schwarzer. Gehen Sie mit 65 in Rente?

Schwarzer: The best of ist doch schon mal nicht schlecht. Im Übrigen bin ich noch 64. Man wird pingelig in dem Alter.

FACTS: Und eitel. Sie zitieren permanent sich selbst.

Schwarzer: Finden Sie? Ich zitiere mich als Teil der Frauengeschichte. Man debattiert zum Beispiel heute wieder über Abtreibung, ganz wie schon anno 1971.

FACTS: Schlimmer noch: Die Frauenzeitschrift «Brigitte» hat für die aktuelle Nummer keine einzige Frau gefunden, die öffentlich sagt: «Ich habe abgetrieben. »

Schwarzer: Ja, den Artikel habe ich auch mit Schrecken gelesen.

Facts: Vor 36 Jahren haben Sie im «Stern» 374 Frauen dazu gebracht, genau das zu tun. Das muss Sie doch frustrieren.

Schwarzer: Es ist, wie es ist. Ich kann resignieren, oder ich steige erneut in die Debatte ein. Aber zermürbend ist es schon, mich wiederholen zu müssen.

FACTS: In einem Kapitel schreiben Sie erneut gegen den biologischen Unterschied der Geschlechter an. Weshalb?

Schwarzer: Weil die Biologisten mit ihrer Polarisierung der Menschen in Mann und Frau weder dem einen noch dem anderen Geschlecht gerecht werden. Ganz wie die Fundamentalisten.

FACTS: Dass die Biologisten den Geschlechtern nicht gerecht werden, heisst nicht, dass sie falsch liegen. Auch Sie verdienen Ihr Geld mit klassischen weiblichen Stärken: Einfühlen, Reden, Schreiben.

Schwarzer: Ich tue das, was ich am besten kann.

FACTS: Sind Mädchen vielleicht doch sprachgewandter und einfühlsamer als Jungen?

Schwarzer: Es gibt massig Studien, die beweisen, dass die Unterschiede zwischen den Geschlechtern sehr gering sind, die Gemeinsamkeiten sind viel grösser. Ich halte es für gefährlich, Männer in die Sprachlosigkeit zu schicken.

FACTS: Stehlen Sie damit den Frauen nicht ihren grössten Wettbewerbsvorteil?

Schwarzer: Vorsicht! Ich finde, wir Frauen sollten uns nicht darüber freuen, wenn man uns für bessere Menschen hält. Es ist nicht das Geschlecht, das Menschen gut oder böse macht, es ist die Macht oder Ohnmacht. Was Frauen mit Macht machen, beleuchte ich genau so kritisch wie bei einem Mann.

FACTS: Es sind vorab kinderlose Frauen, welche die Macht erobern.

Schwarzer: Man hetzt gern Mütter gegen Nicht-Mütter auf. Ich spiele dieses Spiel nicht mit.

FACTS: Die Zurück-an-den-Herd-Debatte, die Eva Herman mit ihrem Antiemanzipationsbuch «Das Eva-Prinzip» losgetreten hat, ist ein Paradebeispiel für dieses Spiel. Und Sie sind mit dem neuen Buch dabei, während sich die Männer genüsslich zurücklehnen.

Schwarzer: Wohl kaum. Es gab keinen Hennenkampf. In Deutschland haben die Frauen kollektiv und gelassen den Daumen nach unten gehalten. Sie haben sich in einer breiten Front gegen das Eva-Prinzip gestellt. Diese Eva Hermans treten ja in Wellen auf. Die heissen mal Esther Vilar, mal Verona Feldbusch. Und sie sind immer Medienprodukte.

FACTS: Und es sind immer Frauen.

Schwarzer: Natürlich. Bei Männern wäre das ja eine Lachnummer. Auch alle grossen Streitgespräche hat Alice Schwarzer mit Frauen geführt.

FACTS: Dann muss Alice Schwarzer dafür Eva Herman danken.

Schwarzer: Nicht nötig. Diese Themen stehen aus ganz anderen Gründen wieder auf der Agenda.

FACTS: Weil die Frauenbewegung sich früher einen Dreck um die Mütter kümmerte.

Schwarzer: Da ist was dran. Zumindest in der ersten Phase herrschte eine gewisse Gereiztheit unter uns Nicht-Müttern. Ständig mussten wir uns rechtfertigen. Doch habe ich zum Beispiel schon 1973 das erste Buch über «Doppelbelastung» geschrieben und den Konflikt der Frauen zwischen Familie und Beruf.

FACTS: Mutterschaft ist noch immer eine Sackgasse. Da hat die Emanzipationsbewegung also versagt.

Schwarzer: Das ist nicht der Frauenbewegung zu verdanken. Im Gegenteil. Immerhin hat sie das Problem aus der Unsichtbarkeit geholt. Es steht heute auf der politischen Agenda. Doch alles kann man den Müttern nicht abnehmen.

FACTS: Was machen Mütter falsch?

Schwarzer: Sie haben die Tendenz, ihre Männer nicht ausreichend zu fordern. Frauen müssen die Machtfrage stellen – am besten, noch bevor sie Kinder kriegen.

FACTS: Wenn sie das tun, ziehen es viele Männer vor, mit der nächsten Generation von Dreissigjährigen eine Familie zu gründen.

Schwarzer: Ja, das ist mir auch aufgefallen, dass privilegierte Männer gern noch eine zweite und dritte Runde drehen.

FACTS: Daran ist nun wirklich die Biologie schuld, nicht die Gesellschaft.

Schwarzer: Ach? Zugegeben: Mit fünfzig können Frauen keine Kinder mehr bekommen. Aber können Männer sich das in dem Alter wirklich noch erlauben? Doch auch die jungen Frauen sollten wissen, was auf sie zukommt.

FACTS: Wie denn?

Schwarzer: Auch die Frauen selbst müssen die Wahrheit über Mutterschaft sagen. Sie dürfen bei dem Mutterkitsch nicht länger mitmachen. Was zum Beispiel die deutsche Familienministerin Ursula von der Leyen macht, finde ich unglaublich entwaffnend: Echte Emanzipationspolitik, und das von einer siebenfachen Mutter aus konservativem Haus.

FACTS: Und aus begütertem Haus.

Schwarzer: Wir brauchen keine Sekunde darüber zu streiten: Geld hilft. Aber die Verantwortung und die Sorgen um ein Kind bleiben.

FACTS: Ist Emanzipation zur Klassenfrage geworden?

Schwarzer: Für mich nicht. Ich hatte und habe alle Frauen im Auge.

FACTS: Auch die Frauen, die für wenig Geld den emanzipierten Bankerinnen oder Professorinnen die Kinder hüten und die Küche putzen?

Schwarzer: Ja, auch die! Doch leider kann Geschlechtergerechtigkeit nicht gleichzeitig alle Ungerechtigkeit aus der Welt schaffen. Aber aufpassen müssen wir schon, dass die Emanzipation nicht zum Luxus für Elitefrauen verkommt.

FACTS: Was würden Sie rückblickend anders machen?

Schwarzer: Bei Angriffen anderer Feministinnen unter der Gürtellinie habe ich oft gequält geschwiegen. Das war falsch. Denn das hatte immer auch politische Gründe. Die hätte ich benennen sollen.

FACTS: Warum haben Sie nicht reagiert?

Schwarzer: Wenn mich der Gegner angreift, dann gibt mir das eher einen Adrenalinstoss. Das nehme ich sportlich. Wenn mir etwa einer wie Roger Schawinski dumm kommt, sage ich mir: «Das kannst du haben! » Doch von Frauen angegriffen zu werden, das entwaffnet mich.

FACTS: Fühlen Sie sich in solchen Situationen einsam?

Schwarzer: Ja.

FACTS: Aber Sie haben sich selbst zum Aushängeschild der Emanzipation gemacht.

Schwarzer: Nein. Die Personalisierung ist ein Medienmechanismus. Ich versuche das in öffentlichen Auftritten immer zu relativieren, zu ironisieren.

FACTS: Aber die Gleichung lautet immer noch: Schwarzer gleich Emanzipation, Schwarzer gleich «Emma».

Schwarzer: Man kann ins Heft schauen und sehen, dass auch andere für «Emma» schreiben.

FACTS: Haben Sie in Ihrer journalistischen Karriere Denkfehler gemacht?

Schwarzer: Ich habe nichts Gravierendes gefunden, tut mir Leid.

FACTS: Seien Sie doch selbstkritischer.

Schwarzer: Es gibt ja nichts Peinlicheres, als zu sagen: «Was mich angeht, habe ich mich noch nie vertan. » Aber in der Politik ist das so. Ich habe oft visionäre Einschätzungen gehabt. Dinge, die zu der Zeit, als ich sie ausgesprochen habe, ungeheuer unpopulär waren, haben sich als richtig erwiesen. Nehmen Sie nur die Kritik am Islamismus.

FACTS: Dann sagen wir Ihnen einen Irrtum: Sie waren gegen die Frauenquote.

Schwarzer: Ich war gegen die Quote. Ja. Da musste ich m ich korrigieren. Frauen-Quoten in der Politik haben zwar nicht das Heil gebracht, aber die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie selbst hat von sich gesagt: «Ich bin nur dank einem Doppelquotenticket an die Macht gekommen. » Als Frau und als Ostdeutsche. Das war für den damaligen Kanzler Helmut Kohl besonders praktisch: Er musste eine Frau und jemanden aus Ostdeutschland im Kabinett haben. Nehmen wir eine Ossifrau, dann haben wir noch einen Posten für einen Westmann frei. So läuft das mit der Quote. Aber dennoch

FACTS: Jetzt haben die Konservativen die erste Kanzlerin.

Schwarzer: Ich warte auf eine linke Kanzlerkandidatin!

FACTS: In Ihrem neuen Buch rechnen Sie auch mit der Linken ab.

Schwarzer: Was heisst abrechnen? Die ganze Frauenbewegung ist als Reaktion auf die Linke entstanden, weil die Linke zwar die Welt befreien wollte, aber die Frauen weiter Kaffee kochen liess.

FACTS: Welcher Partei stehen Sie am nächsten?

Schwarzer: Frauenanliegen haben keine parteipolitische Heimat. In allen Parteien gibt es Frauenfeindlichkeit – und Frauen, für die Emanzipation selbstverständlich ist.

FACTS: Die Grünen scheinen Sie am meisten zu beunruhigen. Weshalb?  Schwarzer: Der Blut-und-Boden-Ton der Grünen hat mich immer beunruhigt. Und in Bezug auf die Frauen betreiben sie leider eine fatale Politik: Verharmlosung von Pornografie und Pädophilie, Gesellschaftsfähigkeit von Prostitution.

FACTS: Aber gerade die Grünen haben einen grossen Anteil Frauen.

Schwarzer: Das stimmt. Aber es scheint trotzdem das Gesetz der Herren zu gelten.

Facts: Auch die «Emma»-Leserinnen wählen grossmehrheitlich grün.

Schwarzer: Ja, da sehen Sie die Grenzen der Macht der Medien. Dabei ist es eine Tatsache, dass die Grünen bis heute mit dem politisierten Islam kokettieren. Für das Kopftuch in der Schule, für zweierlei Recht und Mass bei Frauen im christlichen oder islamischen Kulturkreis, für die «revolutionären islamistischen Bewegungen» in den davon terrorisierten Ländern. Dabei ist das wirklich der Faschismus des 21. Jahrhunderts: nicht der Islam, der Glaube, aber der politisierte Islam.

Facts: In der Schweiz bekämen Sie dafür Applaus von der SVP.

Schwarzer: Das wundert mich. Wie kann die Schweiz die Kritik am Islamismus den rechten Parteien überlassen? Aus Angst vor dem Rassismus-Vorwurf? Da haben Sie, glaube ich, einen grossen Nachholbedarf.


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