Nicole Althaus
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Zum Trost gibts Wellness
Annabelle 14/2008
Text: Nicole Althaus
Fotografien: Flurina Rothenberger
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«Zum Trost gibts Wellness»

Die moderne Gesellschaft hat ein Manko. Ein Manko an Zärtlichkeit und zwischenmenschlicher Wärme. Dieses Defizit haben die Day Spas als Marktlücke entdeckt und befriedigen es professionell: Berührung gegen Geld im Stundentakt.

Man liegt auf einem Behandlungstisch, nackt bis auf ein vorgewärmtes Badetuch, die Augen bedeckt mit einem vorgewärmten Lappen, es duftet nach Blüten, und irgendwoher kommt der Sound, an dem man fortan blindlings jedes Spa auf der Welt wiedererkennen wird: Wellenrauschen, ein bisschen Klassik, ein bisschen Enya, unvermeidlich die Panflöten. Die Hände, die sich von den Füssen zu den Schultern hinaufarbeiten, sind geschickt und warm. Auf der nackten Haut spürt man den Atem der Masseurin. Die Berührung ist intim, und sie kommt von einer fremden Person, die nur einen Vornamen trägt. Man liegt vor ihr, hüllen- und schutzlos, und hat doch die Kontrolle: Man ist Kunde, man bezahlt. Ob Massage, Waxing oder Schlammpackung, die erste Behandlung in einem Spa fühlt sich an wie der erste Besuch der neuen Putzfrau: wie eine Dienstleistung, die man zwar freiwillig in Anspruch nimmt, aber trotzdem ein bisschen als Grenzüberschreitung empfindet, als Service, der von fern an das grossbürgerliche Verhältnis zwischen Herrin und Magd erinnert. Doch schon beim zweiten oder dritten Besuch verschwindet dieser Beigeschmack, man gewöhnt sich an das Geschäft an der Intimgrenze. «Unsere Wohlstandsgesellschaft mutiert zur Wohlfühlgesellschaft», prophezeite der Hamburger Freizeitforscher Horst Opaschowski Ende der Neunzigerjahre. Mittlerweile ist die Mutation voll im Gange: Zwar fehlen detaillierte Zahlen zum Schweizer Wellnessbusiness, aber laut Bundesamt für Statistik ist der Gesundheitsmarkt rund 52 Milliarden Franken schwer. Rund zwei Prozent davon oder gut eine Milliarde, so die Schätzung, entfallen auf das Segment Prävention, zu dem auch Wellnessangebote gehören.

Tatsächlich sind Sauna, Dampfbad und Pool in einem Viersternehotel so selbstverständlich wie die Dusche im Zimmer. Und mit ein paar Jahren Verspätung holen nun auch in Schweizer Städten so genannte Day Spas den Wohlfühltrend in den Alltag. In den USA, wo der Trend herkommt, schiessen Spas aus dem Boden wie einst Starbucks-Filialen: Ihre Zahl hat sich in den letzten fünf Jahren mehr als verdoppelt. Wohlfühlen und Entspannen ist zum ökonomischen Austausch geworden. Berührung gegen Geld im Stundentakt.  Wer diesen Boom genauer besichtigt, dem fällt als Erstes auf: Das tägliche Geschäft mit der Entspannung ist ein grosser Stress. «Ein Day Spa braucht eine 80-Prozent-Auslastung, um rentabel zu sein», sagt Carole Nicolas, Managing Partner des Zürcher Labo Spa, «das geht nur mit einer grossen Stammkundschaft. » In Zahlen: Rund 45 Behandlungen zwischen 50 und 350 Franken müssen pro Tag so perfekt ausgeführt werden, dass die Kundin oder der Kunde nicht nur zufrieden ist, sondern sich danach besser fühlt als vorher. «Sonst nämlich», sagt Carole Nicolas, «sieht man die Kundschaft nicht wieder. »

Die Mitgründerin des ersten Day Spa in der Deutschschweiz sitzt aufrecht in ihrem Büro am Talacker vor einem Glas Wasser. Das Treffen findet in der Mittagspause statt, am Nachmittag hat sie ein Meeting in Genf. Doch Carole Nicolas’ Mimik ist so entspannt, als käme sie direkt aus einer Gesichtsbehandlung. Sie weiss aus der Erfahrung der letzten drei Jahre, dass auch bei Wachstumsraten von 30 bis 50 Prozent jeder Anflug von Hektik geschäftsschädigend ist: «Wenn anderswo mal Stress aufkommt, darf man das ruhig spüren, in einem Spa aber ist sofort die Atmosphäre dahin. Ein perfektes Tagesmanagement ist deshalb Pflicht. »

Entspannung wird in einem professionellen Day Spa so detailliert designt wie ein Schweizer Uhrwerk, so minutiös geplant wie der Fahrplan der SBB. Für das Apsara Spa im Bally-Flagship-Store an der Zürcher Bahnhofstrasse wurden fünfzig Tonnen Material aus Thailand importiert, um dem Gast ein authentisches Relax-Erlebnis zu bieten. Auch das Personal ist handverlesen und kommt aus Thai-Luxus-Resorts. Yves Becher, Manager des vor sechs Monaten eröffneten Spa, weiht den Laien ins Entspannungsprozedere ein: Die Rolltreppe ins Untergeschoss, erklärt er, sei durch eine Holztreppe ersetzt worden, auf dass der Kunde sein Tempo schon vor der Ankunft am Empfangsdesk drossle. Danach werde ihm ein heisser Tee mit Honig serviert, und er erhalte eine Fusswaschung, bevor er ins sorgfältig geschmückte Behandlungszimmer geleitet werde. «Nach diesem Entschleunigungsritual», erzählt Yves Becher, «ist die Mehrheit der Gäste auf die innere Ruhe eingestimmt. » Ausnahme: Geschäftsleute, die man ermahnen müsse, das Handy, das Blackberry wenigstens bei der Massage auszuschalten. Damit den Gast des Weiteren nichts, aber auch gar nichts vom Relaxen ablenkt, verbindet ein versteckter Korridor die einzelnen Behandlungszimmer. Durch den Korridor kann die Masseurin wie ein guter Geist lautlos entschwinden, wenn sich der Gast ein Bad gönnt oder Frotteewäsche entsorgt werden muss. Ist Entspannung im neuen Jahrtausend nur noch mit organisatorischem Grossaufwand zu erreichen? Oder kompensiert die Gesellschaft mit einer Thaimassage über Mittag vielleicht ganz andere Defizite?

Sylvia Sepielli, Spa-Guru in der Branche, nimmt kein Blatt vor den Mund: «Wir leben in einer ungeheuer schnelllebigen Welt, in der zwischenmenschliche Kontakte elektronisiert und Begegnungen auf ein SMS beschränkt werden. Da wird ein Spa-Besuch zur Ersatzbegegnung, in der ein Lächeln mehr ist als bloss ein Icon. » Die Amerikanerin, die so zierlich und  dunkelhaarig ist, dass sie als Asiatin durchgehen könnte, sitzt in der Kaffee-Ecke des vor kurzem eröffneten und von ihr persönlich geplanten Luxus-Spa im «Dolder» in Zürich. «Der Gast soll hier keinen einzigen Gedanken verschwenden an Nebensächlichkeiten wie den Weg ins Behandlungszimmer oder wo er die Schuhe ausziehen soll. Er soll bei jedem Schritt begleitet werden und sich fühlen wie einst als Kind an der Hand der Mutter. » Und genau diese Rundumservice-Idee schult und überprüft Sylvia Sepielli in der Startphase des Dolder Spa nun alle paar Monate. Dazu legt sie sich auch selber auf den Behandlungstisch. Schliesslich versteht man sich auf dem Adlisberg als «Lebensstil-Spa» mit komplettem Angebot: Sieben Tage in der Woche verwöhnen 38 Leute die Gäste nicht nur, sondern organisieren vom Gesundheitscheck bis zum persönlichen Wochenfitnessprogramm und zur Schönheitsoperation alles. Zukünftig will man den Tagesgästen sogar den Einkauf abnehmen, während sie an ihrer Figur arbeiten oder bei einer Massage abschalten.

Vor zwanzig Jahren noch ging man in den Wald spazieren, um sich zu entspannen. Oder nahm abends ein Bad. Eine Massage war etwas für Profisportler, eine Gesichtsbehandlung ein Luxus, die Manicure etwas, das man zu Hause selber erledigte. Heute scheint Me-Time nur noch etwas wert zu sein, wenn sie etwas kostet. «Selbst Kinder», sagt Sylvia Sepielli, «sind in den USA zu regelmässigen Spa-Gängern geworden. » Das Schwierigste sei, professionelles Personal zu rekrutieren: «Sie können den luxuriösesten Wellnesstempel besuchen, in einem architektonischen Bijou liegen und sich nach der Behandlung trotzdem fühlen wie zuvor, nämlich leer, wenn die Therapeutin nicht fähig ist, Sie richtig zu berühren, mit Hand und Herz. » Spa-Arbeit erfordert die Fähigkeit, Nähe auf Knopfdruck herzustellen. Der neue Dienstleistungszweig an der Intimgrenze ist bereits zum universitären Untersuchungsobjekt geworden. Arlie Russel Hochschild, Soziologieprofessorin an der Berkeley-Universität, widmet ihm ein ganzes Buch: «Wenn intime Bedürfnisse wie Pflege, Erziehung oder Berührung an den Markt delegiert werden», schreibt sie in ihrem Essayband «Die Kommerzialisierung der Intimität», «entstehen Jobs, die ein ganz neues Anforderungsprofil erfordern, darunter die Fähigkeit, Emotionen als Tauscheinheit glaubwürdig produzieren zu können. » Arlie Russel Hochschild hat beobachtet, wie immer mehr Wellnessangebote in den USA vom Luxus zum Alltagsbedürfnis mutiert sind, und fragt sich im «New York Times Magazine»: «Mangelt es in unserem Alltag an Intimität, dass wir sie in der kontrollierten und professionalisierten Umgebung eines Spa suchen? »  Dass das intime Setting eines Spa auch zu intimen Gesprächen verleitet, bestätigen viele Therapeutinnen und Kosmetiker. Tamara Bürki, die dienstälteste Masseurin im Globus Spa in Zürich, hat schon alles erlebt. Wut. Tränen. Trauer. Jubel. Sie erzählt von Kundinnen, die ihre ganze Lebens- und Leidensgeschichte während einer Ganzkörperbehandlung loswurden. Und von anderen, über deren Schwangerschaft sie vom ersten Test bis zur Geburt so detailliert informiert sei, als sei sie eine nahe Verwandte. «Nach einer Ganzkörpermassage brauche ich erst mal eine Pause. Ich muss mich von den Emotionen der Kunden abgrenzen, den eigenen Stress loswerden. » Sehr ernst sagt Tamara Bürki das alles, aber mit einem Lächeln im Gesicht. Leichtigkeit und Wärme herzustellen, gehört zu ihrem Job.

Um den ohnehin anspruchsvollen Balanceakt der Angestellten auf dem schmalen Grat zwischen Nähe und Distanz nicht noch zu erschweren, gelten in den meisten Spas strenge Regeln. Vor allem, wenn wie heute rund vierzig Prozent der Gäste männlich sind: keine Haarentfernung bei Männern im Intimbereich; Hausverbot für Kunden, die Massage als sexuelle Dienstleistung missverstehen, und das Respektieren der Grenzen von Angestellten: «Wenn eine Kosmetikerin ein Bikini-Waxing nicht gern macht, muss man das akzeptieren», sagt Gregor Schulz, der Manager des Globus Spa. «Die Kundin würde den Widerwillen auch bei der professionellsten Ausführung noch spüren. » Und das gilt es zu vermeiden. Schliesslich gehört es zum Job, eine Behandlung von jeder sexuellen Konnotation zu befreien. «Ich habe mich immer wieder gefragt», sagt Andreas Schauer, «warum Menschen im Spa alle Tabus brechen, die sie sich im Alltag auferlegen: Sie ziehen sich vor wildfremden Menschen aus, verrenken sich öffentlich beim Sport und schwitzen nebeneinander in der Sauna. » Der Geschäftsführer des Asia Spa im Zürcher Sihlcity beantwortet die Frage bei der Führung durch den sorgfältig durchdesignten Wellnesstempel gleich selbst: Offenbar suchten die Leute im Spa ein Gefühl der Zugehörigkeit. Das sei aber keine neue Erscheinung. Auch in der Badekultur der Römer sei das gesellige Beisammensein wichtig gewesen. Jedenfalls passt seine Diagnose zum Ergebnis einer Umfrage, die er bei den Stammkunden durchgeführt hat: Sehr viele gaben an, nebst dem exklusiven Ambiente am meisten zu schätzen, dass sie immer mit Namen begrüsst würden. Das Spa als Ersatzfamilie? «Neben körperlicher und emotionaler Nähe», sagt Andreas Schauer, «suchen die Gäste soziale Nähe. » Neulich habe ein Stammkunde an der Réception angerufen und gesagt: «Macht euch keine Sorgen, wenn ich heute nicht komme, ich bin im Urlaub. »
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