Nicole Althaus
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Väter – FACTS
FACTS
Text: Nicole Althaus, Ruth Brüderlin
Foto: Dominik Labhardt
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Hau ab Mann

Trotz neuem Scheidungsrecht kämpfen Schweizer Paare brutaler denn ja um ihre Kinder. Die Väter sind fast immer die Verlierer. Nicht einmal mit Hilfe der Polizei können sie sich gegen egoistische Mütter durchsetzen. Nun fordern Politiker abermals eine Gesetzesrevision.

Er war ein Vater, wie sich ihn eine Frau nur wünschen kann. Jeden Morgen stand er vor sieben Uhr am Herd, kochte Milch, um für seine Kinder das Frühstück zu bereiten: Ovomaltine für die dreijährigen Zwillingsbuben Nicolas und Kevin, Sugar Puffs für die fünf-jährige Tochter Laura. Roman Keller *, 40, teilte Hausarbeit und Kinderbetreuung partnerschaftlich mit seiner Frau, 36. Und das, obwohl er ein Vollpensum bewältigte. Aber nur drei Tage pro Woche ausser Haus. Ansonsten erledigte er seinen Job im Heimbüro.

Sein Eifer wurde Keller zum Verhängnis. Bei der Scheidung vor zwei Jahren schmetterten die Richter seinen Antrag auf das gemeinsame Sorgerecht ab. Begründung: Keller habe zu viel gearbeitet. Seine Frau hatte bloss eine 50-Prozent-Anstellung. So springt die Schweizer Justiz heutzutage mit einem Mann um, der jahrelang das war, was man einen Bilderbuchpapa nennt.

Heute sieht Keller seine beiden Buben und die Tochter - sie sind inzwischen sechs und acht Jahre alt - nur noch jedes zweite Wochenende. Der Mann, der ihnen früher dreimal täglich das Essen kochte, mit ihnen spielte, sie zu Bett brachte, ist den Kindern fremd geworden. «Ich bin vom Alltag meiner Liebsten ausgeschlossen», sagt Keller. «Ich bin nur der nette Onkel.»

Es mag für Keller ein schwacher Trost sein, aber: Ob Vorzeigevater, Hausmann, Softie oder Macho - geht eine Beziehung im Kampf auseinander, zieht der Mann den Kürzeren. Neun von zehn Kindern sprechen die Gerichte in einem solchen Fall der Mutter zu. Der Vater wird mit wenigen Besuchstagen abgespeist. Und oft kann er nicht einmal sein Recht, den Nachwuchs gelegentlich zu sehen, durchsetzen. Fatal: Genau diesen Missstand sollte das neue Scheidungsrecht beheben. Das Gegenteil traf ein: Seit im Januar 2000 die Möglichkeit des gemeinsamen Sorgerechts eingeführt wurde, wird in der Schweiz heftiger, erbitterter, erbarmungsloser um das Kind gestritten als je zuvor.

Der Kampf ums Kind nimmt groteske Züge an: 50 Personen gingen letzten Samstag in Luzern auf die Strasse, um im so genannten Fall Ruben den italienischen Vater Stefano Bianchi, 42, zu unterstützen. Bianchi kämpft dafür, dass ein Bundesgerichtsurteil durchgesetzt wird und sein fünfjähriger Sohn zu ihm nach Italien zurückkehrt. Unterstützt von Schweizer Vätervereinigungen lieferte sich Bianchi in Luzern ein Gefecht der Parolen mit Sympathisantinnen der Kindsmutter, der 29-jährigen Lucille Hunkeler, die mit dem gemeinsamen Sohn vor Wochen untertauchte. Der Fall beschäftigt mittlerweile die schweizerisch-italienische Aussenpolitik: Bundesrat Christoph Blocher sicherte Italiens Justizminister Roberto Castelli Unterstützung zu, um Ruben mit seinem Papa zusammenzuführen.

Auch der Australier Russell Wood, 41, hat schlechte Aussichten, seine beiden Kinder, die er mit einer Schweizerin zeugte, wieder zu sehen. Das Bundesgericht hat zwar entschieden, dass die Geschwister zum Vater zurück müssen, doch der für die Rückführung zuständige Stadtammann vom Zürcher Kreis 6 trat Anfang November in den Ausstand: Er wolle das Urteil aus persönlichen und rechtlichen Erwägungen nicht vollziehen.

Die beiden Fälle tangieren zwar internationales Recht, sie illustrieren aber plastisch, wie schnell Väter zu Entrechteten werden können. In der Schweiz hat dies einen besonderen Grund: «Das gemeinsame Sorgerecht, wie es unser Land handhabt, ist eine Totgeburt», so das vernichtende Urteil von Jean-Luc Rioult, Scheidungsanwalt und Leiter der Fachgruppe Scheidungsrecht der Zürcher Anwaltskammer. «Es funktioniert nur dann, wenn Eltern sich ohnehin einig sind. In allen anderen Fällen aber lädt es geradezu zu Erpressungsspielen ein.»

Finanzielle Erpressung

Die gemeinsame Sorge wird - anders als etwa in Deutschland oder Frankreich - nur dann ausgesprochen, wenn beide Elternteile damit einverstanden sind, heute in rund einem Viertel aller Fälle. Dabei sagt das Sorgerecht - oder schlicht die Sorge, wie es im Gesetz heisst - nichts darüber aus, bei wem die Kinder leben. Es umschreibt bloss, wer gesetzlicher Vertreter des Kindes ist. Trotzdem bockt in den meisten Fällen die Mutter. Sie kann ihre Einwilligung ohne Angabe von Gründen verweigern. Wieso auch sollte sie teilen? Wieso sollte sie dem Vater ein Mitspracherecht bei den Kindern geben? Frauen können ohnehin damit rechnen, dass Sorgerecht und Obhut ihnen zugesprochen werden. Die Logik ist simpel, aber verhängnisvoll: Die Frau bekommt die Kinder - der Mann bezahlt. Die Scheidungsväter werden damit faktisch entsorgt: Sie haben, was ihre Kinder betrifft, nichts mehr zu melden.

Mittlerweile hat auch die Politik erkannt, dass der Zustand unhaltbar ist: Ein Postulat aus dem Nationalrat sowie eine Petition, die letzte Woche von Väter- und Elternvereinigungen lanciert wurde, verlangt eine Gesetzesänderung: Die geteilte Sorge soll nicht mehr Ausnahme sein, sondern die Regel. Für alle Väter, ob ledig oder geschieden. Auch der Bundesrat sieht die Dringlichkeit des Vorstosses, nächstes Jahr soll das Postulat vors Parlament. Für Fachleute ein Zeichen der Hoffnung: «Der Kampf um die Kinder ist ungleich härter geworden», sagt der Zürcher Mediator und Familienberater Christoph Wieser. Seit zwanzig Jahren vermittelt er in Scheidungsstreitigkeiten und hat beobachtet, dass es vermehrt zu «Erpressungen und Manipulationen» kommt. So verbinden immer mehr Frauen ein Ja zur gemeinsamen Sorge mit der Forderung nach höheren Alimenten. Eine finanzielle Erpressung des Ex-Partners also, die erst das unzulängliche heute geltende Gesetz ermöglicht.

Damit nicht genug: Wenn Konflikte zu Eheschlachten entarten, greifen immer mehr Frauen ungeniert zur härtesten Waffe, zum Totschlagargument schlechthin: Sie werfen ihrem Ex vor, den Nachwuchs verprügelt oder - schlimmer noch - sexuell missbraucht zu haben. Mit dem Satz: «Er hat meine Tochter benutzt» beginnt laut einem Mitglied einer Basler Vormundschaftsbehörde jedes zweite Gespräch. Der Tiefschlag sitzt immer: Die Väter sehen ihre Kinder nicht mehr, oft monatelang, bis der Vorwurf abgeklärt ist. Und auch wenn er sich als haltlos erweist, hat er sich in den Köpfen längst festgesetzt. Das ist nicht bloss für den betroffenen Vater ein Skandal: Mit dem inflationären Gebrauch des Missbrauchvorwurfs untergraben Frauen die Glaubwürdigkeit tatsächlicher Opfer - und sie muten ihren eigenen Kindern zu, dass diese zur Abklärung analgynäkologische Untersuchungen über sich ergehen lassen müssen.

In Fachkreisen spricht man von einer Zunahme der Missbrauchvorwürfe von vierzig Prozent in den letzten Jahren. Neun von zehn Anschuldigungen gegen Väter, die um ihre Kinder kämpfen, werden aus rein taktischen Gründen erhoben, so die Erfahrung vieler Ämter. Gestützt wird dieser Befund durch diverse Studien aus den USA, die sich in den letzten Jahren mit dem Problem falscher Missbrauchvorwürfe während einer Scheidung befassten.

Fast ebenso oft wie Missbrauch werfen die Mütter dem Vater Gewalttätigkeit vor. Ein hartes Anpacken am Arm, ein Schubs oder eine Ohrfeige reicht. Natürlich gehören solche Handgreiflichkeiten nicht zur hohen Pädagogik. Aber sie sind nicht vergleichbar mit den Akten von Gewalttätigkeit, die andere Frauen und Kinder tatsächlich jahrelang erdulden müssen.

Jeder Schritt von ihr geplant

Der Bündner Reto Indermühle *, 36, fand in der Handtasche seiner Frau ein ausgetüfteltes Drehbuch, wie sie sich den Ablauf der Trennung und der Scheidung vorstellte. Darin war detailliert aufgelistet, wann welche Schritte zu unternehmen, welche Geldforderungen zu stellen, welche Anschuldigungen auszusprechen seien. Alles nach einem genauen Zeitplan. Das schlechte Gewissen, in der Tasche seiner Frau herumgeschnüffelt zu haben, verlor der höhere Beamte spätestens dann, als seine Frau, eine Bankerin, ihm vorwarf, er habe sie und die damals sechsmonatige Tochter regelmässig verprügelt. Vor Gericht gab sie später unumwunden zu, dies frei erfunden zu haben. Konsequenz der falschen Anklage? Keine.

Solche oft rufschädigenden Aussagen machen Frauen in Scheidungsverfahren zuhauf. Noch erschreckender aber ist: Kein einziger Fall ist bekannt, in dem sich eine Frau vor Gericht für falsche Anschuldigungen verantworten musste.

Mütter haben die besseren Karten. Mütter gehen kaum ein Risiko ein - selbst dann nicht, wenn sie das Besuchsrecht verweigern. Wenn sich eine Frau darum foutiert, zur verabredeten Zeit die Kinder dem Vater ins Weekend mitzugeben, passiert nichts. Kein Vormund taucht auf, niemand vom Jugendamt und schon gar keine Polizei, um die Herausgabe der Kinder durchzusetzen. Der Streifenwagen fährt höchstens vor, wenn der Vater an die Türe hämmert oder vor dem Haus nach seinen Kindern schreit - um ihn wegen Ruhestörung mitzunehmen.

Je länger eine Frau dem Vater das Besuchsrecht vorenthält, desto grösser die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Kinder dem Vater entfremden. Bis ihnen schliesslich im Namen des Kindswohls nicht mehr zugemutet werden kann, Zeit mit einem fremden Mann zu verbringen.

Im letzten Sommer hat Roger Brühwiler, 37, endlich seine beiden Söhne wieder gesehen. An jenem Nachmittag im Juli durfte er zwei Stunden mit ihnen zusammensein - unter Aufsicht. Vor fünf Jahren trennte sich der Architekt von seiner Frau. Sie verweigerte ihm das Besuchsrecht. Laut mehreren Gerichtsbeschlüssen hätte er seine heute sieben und elf Jahre alten Söhne jedes zweite Wochenende bei sich haben dürfen. Worauf seine Nochgattin kommentarlos wegzügelte. Brühwiler fand heraus, dass sie im Tessin lebte. Er versuchte anzurufen, er bemühte sich, über einen Lehrer und die Vormundschaftsbehörde Kontakt herzustellen. Seine Frau blieb stumm. Nach zwei Jahren - die Brühwilers waren offiziell erst getrennt und noch nicht geschieden - wandelte das Obergericht Aarau die ursprüngliche Besuchsregelung um. Brühwiler dürfe seine Söhne künftig alle zwei Wochen unter Aufsicht für sechs Stunden sehen. Begründung: Der Vater sei seinen Kinder so fremd geworden, dass der Kontakt wieder behutsam aufgebaut werden müsse. Sogar das blieb Theorie. Tatsächlich sah Brühwiler seine Kinder in vier Jahren insgesamt acht Stunden.

«In unserem Rechtsstaat», sagt der Zürcher Rechtsanwalt Rioult, «kann es Menschen, vor allem Vätern, passieren, dass ihnen das gemeinsame Sorgerecht grundlos verweigert wird, dass ihnen die Kinder entzogen werden, die sie jahrelang miterzogen haben, und dass der Umgang mit ihnen systematisch vereitelt wird, ohne dass sie dagegen etwas unternehmen können.» Das beschriebene Unrecht ist seit einem Monat gerichtlich sanktioniert: Anfang November wurde ein Urteil des Zürcher Obergerichts rechtskräftig, das eine 37-Jährige freigesprochen hat, obwohl sie ihren Ex-Mann systematisch daran hinderte, die gemeinsame Tochter zu sehen. Das zehnjährige Kind, so das Obergericht, habe eine psychische Störung als Folge der Trennung vom Vater. Dies sei, so die lapidare Erklärung, der Mutter nicht bewusst gewesen. Den Freispruch begründete das Gericht mit dem «fehlenden Unrechtsbewusstsein der Mutter». Die Frau muss nicht einmal die Prozesskosten übernehmen.

Ein Kind ist bei der Mutter, und nur bei der Mutter, am besten aufgehoben: Die helvetische Rechtsprechung ist einer Ideologie von gestern verhaftet.

Kinder als Waffe, um einen Partner abzustrafen, der einen verletzt und enttäuscht hat. «Dieser Machtmissbrauch ist nicht geschlechtsspezifisch», sagt Rioult. «Die Machtverteilung allerdings schon.» Männer sind zwar nicht die besseren Menschen, aber in solchen Konflikten die sicheren Verlierer. Anders als in den USA und in einigen europäischen Ländern - in Norwegen etwa - bleibt in der Schweiz der Widerstand von Müttern gegen die Besuchsrechte des Vaters ungeahndet.

Gesundheitsprobleme nach Trennung

Wie hält dies ein Mann aus? Über die Nöte der Scheidungsväter wusste man bisher wenig. Und das wenige, was man wusste, war von Vorurteilen geprägt. Im öffentlichen Diskurs waren die Väter die Übeltäter, die Verantwortungslosen, die sich aus dem Staub machten, die das Bezahlen der Alimente dem Staat überliessen. Wie hart sie in Tat und Wahrheit mit einer Scheidung zu kämpfen haben, beweist eine neue, breit angelegte Studie. Das Bremer Institut für Geschlechter- und Generationenforschung befragte unter der Ägide von Gerhard Amendt 3600 Scheidungsväter aus Deutschland, Österreich und der Schweiz: Mehr als drei Viertel der Befragten gaben an, dass der Trennungsschmerz zu akuten gesundheitlichen Problemen geführt habe. 60 Prozent der Männer äusserten gar das Gefühl, durch den Entzug der Kinder «alles verloren zu haben».

Zynischerweise strafen die Scheidungsrichter oft gerade diejenigen Männer, die ihre Verantwortung engagiert wahrnehmen wollen. Das belegt der Fall Michael Andres *: Der 42-jährige Ingenieur aus Solothurn nahm sein Neugeborenes fast das ganze erste Jahr über mit ins Büro, weil sich seine Frau damals gerade selbstständig gemacht hatte und ihre ganze Energie in den Job steckte. Er, der Mann, gab dem Kleinen den Schoppen, er schaukelte das Baby in der Wiege neben seinem Bürotisch. Auch später arbeitete Andres nur zu 80 Prozent, um das Kind betreuen und so seine Frau unterstützen zu können. Trotzdem hat er jetzt, fünf Jahre später, bei der Scheidung nicht den Hauch einer Chance, die gemeinsame Sorge zu bekommen, geschweige den die Obhut für seinen Sohn. Das Geschäft seiner Frau läuft nicht gut - die Richterin befand, man könne der Mutter eines fünfjährigen Kindes nicht zumuten, berufstätig zu sein. Nun zahlt Andres Unterhalt für seine Ex, obwohl er finanziell kaum besser dasteht.

Frauen gehören für die Schweizer Richter offenbar immer noch an den Herd, Männer ins Erwerbsleben. Kommt es zum Schlagabtausch der Geschlechter, fehlt der Raum für differenzierte Lösungen: «Die Männer werden Opfer tradierter Rollenbilder», sagt der Zürcher Bezirksrichter Urs Gloor. Eine erste Debatte um die Opferrolle des Vaters nach Scheidungs- und Trennungsdramen wurde 1998 erstmals von Matthias Matussek losgetreten. Der «Spiegel»-Redaktor unterstellte in seinem Buch «Die vaterlose Gesellschaft» den scheidungswilligen Frauen pauschal den Wunsch nach einer «Versorgungsvollkasko», mit der sie die Männer an den Rand des Ruins trieben und ihnen zum Dank auch noch die Kinder vorenthielten. Diese «Muttermacht» tarne ihr fieses Spiel mit den «abgezockten Vätern» mit der Behauptung, sie tue das aus «Mutterliebe».

Matusseks Anti-Mutter-Polemik war berechtigt, wie sich nun zeigt - auch wenn sie etwa so differenziert war wie das Männer-Bashing radikaler Feministinnen, die dem Mann ausser Ausbeutung und Egoismus nichts zugestehen. Natürlich gibt es die Scheidungsväter, die ihre Pflichten mit dem monatlichen Scheck und einem weihnachtlichen Postpaket erfüllt sehen. Genauso, wie es Scheidungsmütter gibt, die das liebevoll eingepackte väterliche Weihnachtsgeschenk für die Kinder ungeöffnet zurückschicken. Natürlich gibt es auch Väter, die nie ein Sorgerecht bekommen sollten: Weil sie tatsächlich gewalttätig sind, weil sie sich tatsächlich nicht um das Wohl ihres Nachwuchses kümmern würden. Und zugegeben, man kann sich letztlich zu Recht fragen, ob die Männer an ihrer heutigen Misere nicht zu einem guten Teil selber Schuld haben: Die Zürcher Juristin Dorothee Jaun etwa, die in Scheidungsprozessen meistens Frauen vertritt, ist der Meinung: «Es sind auch heute noch die Frauen, welche die Kinder bis zur Scheidung mehrheitlich betreuen. Es ist also nur konsequent, dass sie meistens auch das Sorgerecht erhalten.»

So oder so - das Resultat bleibt dasselbe: Die derzeitige Schweizer Rechtsprechung lässt es zu, dass jeder fünfte geschiedene Vater den Kontakt zu seinem Nachwuchs gänzlich verliert. Und zwar unfreiwillig. Die Schweiz ist auf dem besten Weg, die Männer von der Erziehung auszuschliessen, ja auf dem Rechtsweg herbeizuführen, was sie gesellschaftspolitisch seit Jahren bekämpft: die vaterlose Gesellschaft. Und sie tut das zu einer Zeit, in der endlich ein Gesinnungswandel eingetreten ist, in der die Männer angefangen haben, Väter zu werden, die öfter als nur am Sonntagvormittag zu Hause sind - «refamiliarisierte Väter», wie die Soziologen sagen.

Es ist paradox: Seit Jahren werden die so genannten neuen Väter in der Öffentlichkeit gekrault und gestreichelt. Die Medien singen einstimmig das Loblied auf die Papas, die wochentags Kinderwagen schieben, statt Überstunden zu machen, und sich am Wochenende enthusiastisch auf die Rutschbahn zwängen. «Psychologie heute» widmete dieses Frühjahr der «einzigartigen Weise», in der Väter ihre Kinder fördern, eine Titelgeschichte. Und Politiker quer durch die Parteien fordern Arbeitsbedingungen, die dem gewandelten Rollenverständnis Rechnung tragen. Die Frauen haben erreicht, was sie jahrzehntelang forderten: ein Umdenken in der Gesellschaft. Und sie müssten, so sollte man meinen, alles daran setzen, dass ihnen diese neue Spezies Vater, die sie in mühseliger Überzeugungs- und Erziehungsarbeit herangezüchtet haben, erhalten bleibt. Doch sobald das Familienidyll zerplatzt, hat der Vorzeigevater ausgedient. Und es sind die Frauen, die dafür sorgen, dass er per Gerichtsurteil in die Rolle des Zahlpapis zurückspediert wird.

Aufgeopfert - und ausgeschlossen

«Ich bin weder ein Spitzenvater noch ein Supermann», sagt Peter Schiffer *, 42. Aber als seine Frau schwer erkrankte, kurz nach der Geburt des Jüngsten, habe er die Buben versorgt, jedes Wochenende etwas mit ihnen unternommen; er habe sogar Ferien genommen, wenn die Frau wieder ins Spital musste. «Ich opferte mich für die Familie und die Kinder. Und ich meinte, es komme gut.» Wegen seiner Ex-Frau ist Schiffer heute genötigt, in seinem viel zu grossen Einfamilienhaus zu leben, das er 16 Jahre lang mit ihr bewohnte. Verkaufen kann er es nicht, denn seine ehemalige Gattin verweigert die Unterschrift. Selber darin wohnen kann sie aber wegen fehlender finanzieller Mittel auch nicht. «Alles, was ich will - selbst wenn es ihre eigene Situation verbessern würde -, lehnt sie kategorisch ab», sagt Schiffer.

Selbstverständlich verweigerte sie auch die Zustimmung zum gemeinsamen Sorgerecht. Sein Vorschlag, die heute 13- und 15-jährigen Buben bei sich wohnen zu lassen, wurde mit der Begründung abgelehnt, er müsse ja arbeiten gehen und könne sich nicht um die Kinder kümmern. Dabei wäre er ausgerechnet von seinem Arbeitgeber SBB unterstützt worden. Dieser hätte ihm ermöglicht, Teilzeit zu arbeiten, hätte einen Krippenplatz zur Verfügung gestellt und sogar aus einem Spezialfonds eine Tagesmutter mitfinanziert. In vielen Firmen wurde umgedacht - nicht aber bei den Gerichten.

Aber es gibt sie, die Männer, die sich mit ihrer Diskriminierung als Vater nicht abfinden wollen. Europaweit hat sich eine eigentliche Scheidungsväter-Bewegung formiert, die sich mit allen Mitteln Gehör verschafft: Im September etwa erregte die militante Gruppe Fathers 4 Justice weltweit Aufsehen, als der 32-jährige Maler und Tapezierer Jason Hatch in einem Batman-Kostüm die Sicherheitsschranken des Buckingham-Palasts überwand und mit seinem Transparent geraume Zeit auf dem königlichen Balkon verharrte.

Auch in der Schweiz regt sich Widerstand: Rund 25 geschiedene oder in Scheidung lebende Männer sitzen an einem nebligen November-Abend im kahlen Klublokal der Männer-Organisation IGMZ - bei Trennung und Scheidung, Zürich. Junge Karrieristen in Anzug und Krawatte, die reden wie ein Wasserfall, Väter der neuen Generation, die ein Kleinkind mit derselben Nonchalance wickeln, wie sie Bierflaschen öffnen. Und dann ein paar Grauhaarige mit verhärmten Gesichtszügen, denen das Reden offenbar lange schon vergangen ist. Es riecht nach Aftershave und Arbeitsschweiss in dieser Zelle des Widerstands. Diese Männer sitzen jeden Dienstagabend zusammen, beraten, wie sie sich vor Gericht verhalten sollen, suchen Hilfe, um sich gegen ihre Frauen zur Wehr zu setzen. Und vor allem: Sie reden darüber, wie sie zurückbekommen können, was die Gerichte ihnen weggenommen haben - ihre Kinder.

Systematisch entfremdete Kinder

Was die Gerichte vermeintlich zum Wohle des Kindes entscheiden, hat nicht selten verheerende Folgen: Werden die betroffenen Kinder - im Jahr 2003 waren es in der Schweiz rund 90 000 - scheidungshalber von Vater oder Mutter getrennt, beginnt ein Drama, das sie ihr Leben lang verfolgen wird. Die Kinderpsychiatrie spricht von PAS, dem Parental Alienation Syndrom. Elternentfremdungs-Syndrom. Man geht heute davon aus, dass dieses Krankheitsbild, 1984 erstmals vom US-Kinderpsychiater Richard Gardner beschrieben, in 90 Prozent aller strittigen Sorgerechtsfällen auftritt: In der Hoffnung, wenigstens einen Elternteil behalten zu können, lehnen Scheidungskinder den anderen, meist den Vater, ab.

Die Literatur zu den seelischen Folgen der Aussperrung des Vaters aus dem Leben eines Kindes füllt inzwischen ganze Regale: Die Jungen leiden an fehlenden gleichgeschlechtlichen Rollenbildern und kompensieren das Manko mit übertriebenem Männlichkeitswahn. Die Töchter reagieren häufig mit pathologischen Störungen wie Fresssucht. Statistisch erwiesen ist, dass Kinder, die mit Scheidungs- oder Trennungskonflikten der Eltern konfrontiert waren, viel geringere Chancen haben, zukünftig funktionierende Beziehungen eingehen zu können. Der Teufelskreis schliesst sich.

An der hohen Scheidungsrate - in der Schweiz wird bald jede zweite Ehe geschieden - können weder Gerichte noch Gesetz etwas ändern. An der Art und Weise, wie eine Trennung über die Bühne geht, allerdings schon.

Der Schwyzer CVP-Nationalrat Reto Wehrli, 39, reichte darum am 7. Mai sein Postulat ein, das die gemeinsame elterliche Sorge als Regelfall verlangt. Unterschrieben wurde der Antrag von 48 Parlamentarierinnen und Parlamentariern aus allen Parteien. «Für mich steht ausserhalb jeder Diskussion: Mutter und Vater haben beide die Verantwortung für ihre Kinder, sie teilen sich Rechte wie Pflichten», sagt Wehrli. «Man muss den Eltern ein für alle Mal klar machen: Verheiratet oder nicht, Beziehungsprobleme oder nicht - zum Wohl der Kinder müsst ihr euch zusammenraufen.» Wäre die geteilte Sorge die Regel, dürfen sich Väter nicht nur um ihre Kinder kümmern, sie müssten es von Rechts wegen tun. «Wenn im Gesetz steht, Kinderbetreuung sei auch Männersache, hat das sicher eine Rückwirkung auf die Gesellschaft», ist Wehrli überzeugt.

Dass dieser Ansatz funktioniert, bewies Roland Proksch, Professor an der Evangelischen Fachhochschule Nürnberg, in seiner Studie für die deutsche Bundesregierung. Er untersuchte die Erfahrungen mit der gemeinsamen elterlichen Sorge, wie sie in Deutschland üblich ist - nämlich als Regel, nicht als Ausnahme. Fazit: Wenn die Eltern sich von Gesetzes wegen einigen müssen, können sie es auch.

Im Jahr 2003 wurde in 85 Prozent der deutschen Scheidungen die gemeinsame Sorge beibehalten - mit Erfolg. In allen anderen Fällen allerdings kracht es laut dem «Spiegel» von dieser Woche wie bei uns. In Frieden scheiden klappt also nur, wenn beide wollen oder wollen müssen. Für Proksch ist das nur logisch: «Die gemeinsame Sorge entschärft das Konfliktpotenzial, denn die meisten Unstimmigkeiten entstehen nicht bei der Sorge, sondern beim Umgang.» Konkret: Es gibt Krach, weil der Vater das Kind zu spät abholt oder zurückbringt, es unangemessen kleidet oder ihm das falsche Essen vorsetzt. Je mehr aber ein Vater ausgeschlossen wird, desto mehr bockt er dort, wo er kann. Prokschs Fazit: Väter mit gemeinsamem Sorgerecht zahlen die Alimente pünktlicher, halten die Besuchszeiten korrekter ein und verhalten sich ganz allgemein kooperativer.

Volkswirtschaftlicher Unsinn

Diese Erkenntnisse kontrastieren mit der behördlichen Haltung in der Schweiz: Kurz vor Inkrafttreten des neuen Scheidungsrechts warnte das Bundesamt für Justiz die Gerichte davor, die gemeinsame Sorge allzu häufig auszusprechen. Dabei wäre diese auch volkswirtschaftlich sinnvoll: Jede zweite Scheidung, die das Sorgerecht nur einem Elternteil zuspricht, findet heute eine Fortsetzung beim Sozialamt.

«Der Staat regelt Dinge, die er gar nicht regeln müsste», sagt Roman Keller. Der ehemalige Bilderbuchvater musste sich damit abfinden, seinen Kindern Nicolas, Kevin und Laura nicht mehr das Frühstück machen zu dürfen. Heute wäre er schon glücklich, die Tochter dürfte spontan mal am Mittwochnachmittag ihre Aufgaben bei ihm erledigen. Dass in der Schweiz per Gesetz alte Rollenbilder zementiert werden, bringt Keller in Rage: «Wenigstens der Staat sollte einen kühlen Kopf behalten, wenn es schon die Väter und Mütter nicht können.»

* Name auch zum Schutz der Persönlichkeitsrechte der Kinder geändert.