Nicole Althaus
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duri vital
Audi magazin 2/09

Swiss Text Award 2009

Text: Nicole Althaus
Fotos: Pablo Faccinetto
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«Total Vital»

Engadiner Häuser sind wie viele alpenländische Bauformen vom Zerfall bedroht. Architekt Duri Vital hat sich ihrer Rettung verschrieben. Wie kein zweiter verbindet er das Alte und das Neue zu einer Einheit, die modern ist aber nie modisch.

Schulter an Schulter stehen sie da, die Wohnstallhäuser mit den wuchtigen Steinmauern, im Kreis um den Dorfbrunnen in Tschlin drappiert und in sich gekehrt. Kleine Fensterfluchten nur verbinden das Drinnen mit dem Draussen. Da und dort gibt ein Erker den Blick frei auf die Unterengadiner Dolomiten, die in der Abendsonne erröten, als hätte ihnen ein Reisender eben ein Kompliment gemacht. Seit Jahrhunderten trotzen die kunstvoll verzierten Fassaden allem Ungemach, Generationen von Menschen sind darin grossgeworden, haben hinter den dicken Mauern gelacht und geweint. Und jedes einzelne dieser Engadiner Häuser weiss Geschichten zu erzählen – wenn man denn hinhört und es nicht durch eine Hauruck-Modernisierung verstummen lässt.

Keiner kennt die Geschichten dieser Zeugen traditioneller Baukunst besser als Duri Vital. Seit der Sohn eines Holzhändlers aus Sent für seinen Bruder, den weltbekannten Künstler Not Vital, ein baufälliges Tschliner Haus gerettet hatte, hat sich sein Talent herumgesprochen. Bis nach England oder Hong Kong. Und wenn ein Bauherr auf der Denkmalpflege in Chur sich nach einem geeigneten Renovationskünstler erkundigt, heisst es: „Der beste Architekt für Umbauten ist ein Automechaniker aus Sent. “

Das Zitat bringt das Schaffen von Duri Vital auf den Punkt. Denn trotz Fernstudium der Innenarchitektur ist er Handwerker geblieben. Er gehört nicht zu den Baumeistern und Bauherren, die am Schreibtisch sitzen und ihren Stil- und Schönheitsbegriff auf dem Reissbrett skizzieren und dann über ein Haus stülpen. Der Umbau eines Jahrhunderte alten Hauses hat für ihn nichts mit Selbstverwirklichung zu tun aber viel mit der Wiederentdeckung des Bestehenden.

Dabei geht der Umbaukünstler so weit, dass er etwa das russgeschwärzte Gewölbe in der Küche des Hauses Vital in Tschlin so belässt wie es ist, und bloss mit einem einfachen geometrischen Block aus blitzendem Edelstahl kontrastiert, der ausgestattet mit den modernsten Küchengeräten, das Gestern ins Heute holt. Oder er zelebriert im Badezimmer der Stiftung Not Vital in Ardez die Leere und feiert die Wirkung des Rundgewölbes, in dem er es tiefblau streicht und dem Rund zwei eckige, grob gehauene Marmorwannen entgegensetzt.

So bescheiden wie seine Interventionen in den Engadinger Häusern, ist der Architekt selber auch. Über die optisch bestechende und in der Wirkung harmonische Verbindung von Tradition und Moderne sagt er: „Ich habe den Raum nur so lange studiert, ausgeräumt und mit einfachen Formen wieder bestückt, bis er so wirkt wie er gedacht war. “ Dieses „Nur“ ist Duri Vitals Philosophie. Mit jedem Umbau wuchs sein Wissen über die ursprüngliche Nutzung der Häuser, aber auch sein Respekt dafür. Letztlich ist sein Ziel einfach: Vital will die historischen Bauten, welche das Bild der Unterengadiner Dörfer prägen, so behutsam wie möglich ins neue Jahrtausend führen. Und dabei modern aber nie modisch sein. Deshalb lässt er auch die Einrichtungselemente eigens nach seinen Entwürfen anfertigen: Die Marmorwannen schlägt ein Bildhauer aus dem italienischen Carrara aus dem Stein, die Edelstahlblöcke lässt er von einem österreichischen Schlosser schweissen und für die Waschbecken und Wannen aus Lärchenholz suchte er sich einen lokalen Schreiner.

Mehr als ein verständnisloses Kopfschütteln hat der geborene Engadiner nicht übrig für den Isolierungs- und Holztäferungswahn der 70er Jahre, der jedes Interior nach erfolgter Renovation wirken liess wie „eine Sauna an der anderen“. Oder für den gegenwärtigen Trend, jedes Haus mit raumhohen Fenstern zu bestücken. „Ein Engadinerhaus“, sagt Vital, bietet dank der kleinen Fenster seinen Bewohnern in den langen Wintern Schutz, es ist architektonisch in sich gekehrt. Bricht man diese Introvertiertheit mit grossen Glasflächen auf, nimmt man den Häusern den Charakter. “

Lieber holt Duri Vital die spektakuläre Aussicht auf den Piz Ajüz in das Tschliner Haus, in dem er die Landschaft in den Fokus rückt und sie mit einem 13 Meter langen Raum auf der ehemaligen Heubühne einrahmt wie ein Gemälde. Oder er lässt das Licht via Dachterrasse auf den ausgebauten Estrich der privaten Chasa Markés in Ardez fallen und wählt die Dachfenster so, dass sie den Blick auf den Glockenturm der Dorfkirche freigeben.  So viel Respekt für die Schönheit des Bewährten, soviel Gespür für Proportionen und Materialien kommt nicht von ungefähr. Duri Vital ist nach seinem Architekturstudium jahrelang mit seinem Bruder durch die Welt getingelt, hat gemeinsam mit dem zeitgenössischen Künstler Installationen entworfen und zahlreiche Ausstellungen in renommierten Museen und Galerien aufgebaut. Das Künstlerauge hat er auch als Architekt nicht verloren. Seine Räume wirken oft wie eine Wohnskulptur – in der nach modernen Designprinzipien, die Form immer der Funktion folgt.

Der Funktion eines Raumes aber kommt man nur vor Ort nahe. Deshalb verlegt Duri Vital sein Ein-Mann-Büro jeweils an die Baustelle, in der er gerade arbeitet. Wochenlang besucht er dann eine bestimmte Schlafkammer, eine alte Stube oder einen ehemaligen Stall, bis er die zündende Idee hat, wie man den Raum zugleich belassen und neu nutzen könnte. Bis er herausgefunden hat, wo und wie die moderne Haustechnik untergebracht werden könnte. Denn eine umweltfreundliche Erdwärmeheizung und Isolierglas für die Fenster gehören selbstverständlich zum modernen Standart seiner Umbauten.

Zum Standart gehören aber auch tägliche Überraschungen: Morsche Wände genau so wie kunstvoll bemalte Holzwände, die der Architekt unter dicken Farbschichten entdeckt. „Früher wurde improvisiert. Wenn man beim Mauern des Fundamentes auf einen Felsen stiess, hat man einfach um ihn herum gearbeitet. So entstanden die weichen Formen und Grundrisse. Und diese sind denkbar schlecht geeignet für die Installation von vorgefertigten Einbauküchen und Nasszellen. Sie erfordern Originalität, Ideenreichtum und Anpassung – auch auf Seiten der Hausherren.

Im Fall der Villa Markés ist es eine Hausherrin, die mit viel Leidenschaft und Geschick die Räume mit wenigen aber ausgewählten Möbeln erst richtig zur Geltung bringt: Die breiten Holzriemen, die den Boden des Hauptgeschosses zieren und über die früher der Heuwagen das getrocknete Gras in den Tablà (Tenne) gezogen hat, wurden so belassen, wie sie waren. Die Spalten, die entstanden sind, weil das Holz sich durch die Temperaturwechsel verzogen hat, lassen heute das Licht vom beheizten Untergeschoss durchschimmern und die Wärme hochsteigen. Ein Tisch, ein paar Stabellen, vier weiss überzogene Sessel und eine Hand voll einfacher Kerzen - mehr braucht es nicht, um das Traditionelle bewohnbar zu machen für das Heute und es für das Morgen zu retten.



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